Erasmus (Job Shadowing) in Finnland
Um meinen Horizont in Sachen interkultureller Bibliotheksarbeit zu erweitern, habe ich beim Erasmus in Finnlands Bibliotheken so einiges dazugelernt!
Finnland, Finnisch & die Immigration
Finnland ist eine sehr junge Nation, das Land wurde erst 1917 von den Russen (davor die Schweden) in die Unabhängigkeit entlassen. Finnland ist offiziell dreisprachig (Finnisch, Schwedisch, Samisch). Schwedisch und Englisch sind Pflichtfächer in der Schule, Samisch wird nur in Lappland gesprochen.
Lange Zeit gab es eine großel Arbeitsmigration nach Schweden, erst seit kurzem ist Finnland ein Einwanderungsland „mit Vorbehalt“. So gibt es „nur“ 8% Migrant:innen in Finnland, 15%ist der Anteil in Helsinki. Eeva (von der Multilingual Library zufolge) gibt es erst seit dem Krieg in der Ukraine eine Willkommenskultur, weil die Finn:innen eine große Empathie zu den Ukrainer:innen zeigen, im Wissen, sie könnten in derselben Situation sein.
Obwohl fast jede:r in Finnland in sekundenschnelle von Finnisch auf ein sehr gutes Englisch switchen kann, sind die meisten Beschriftungen, Informationen etc. in Finnisch und Schwedisch gehalten. Auch manche Homepages sind nur in Finnisch, was das Lernen von Finnisch, wenn man in Finnland leben möchte, unumgänglich macht.
Bibliothekswesen in Finnland
Das Bibliothekswesen in Finnland wurde schon im 19. Jahrhundert gegründet und 1928 mit einem Bibliotheksgesetz versehen, dass bis dato (letzte Überarbeitung 2017) immer wieder aktualisiert und erweitert wird.
So finden sich aktuell nicht nur das ursprüngliche Ziel „Libraries as open places for reading, learning and equality“, sondern auch – basierend auf Gemeinschaft, Pluralismus und kultureller Diversität:
• providing access to materials, information and cultural contents
• maintaining versatile and up-to-date collections
• promoting reading and literature
• providing information services, guidance and support in the acquisition and use of information and in versatile literacy skills
• providing premises for learning, recreational activities, working, and civic activities
• promoting social and cultural dialogue
Neben diesen Punkten ist es die Aufgabe der Bibliotheken, folgendes zu schaffen:
• equal opportunities for everyone to access education and culture
• availability and use of information
• reading culture and versatile literacy skills (wobei mit literacy skills nicht nur das Lesen ansich, sondern auch die Vermittlung von technischen und medialen Grundkenntnissen gemeint ist)
• opportunities for lifelong learning and competence development
• active citizenship, democracy and freedom of expression
Es ist klar ersichtlich, dass Bibliotheken in Finnland ein weit umfassenderes Ziel haben, als „nur“ den Kindern das Lesen und den Menschen Bücher näherzubringen.
Das Gesetz schreibt auch vor, dass es in jeder Gemeinde eine Bibliothek geben muss. Somit kommen die Finnen auf 281 Hauptbibliotheken, 436 Zweigestellen und 135 mobile Bibliotheken (Bücherbusse, die in abgelegene Regionen zu Schulen, Kindergärten/Kindertagesstätten und in Städten auch in Parks und auf Spielplätze fahren). Außerdem haben die Bibliotheken ihre Services gratis anzubieten; kassiert werden nur Verzugsgebühren. In Helsinki gibt es zudem die Order, dass die nächste Bibliothek nur max. 15 Min. von einem Wohnort entfernt sein sollte.
Daneben, überraschend, da Finnisch ja sehr dominant ist und bleiben soll, gibt es die Order, dass jede: Finne:in Bücher in der eigenen Erstsprache lesen können sollte.
Die Bibliotheken in Finnland sind zu 2/3 vom Staat und zu 1/3 von der Gemeinde finanziert. Bei 5,5 Mio. Einwohnern sind das pro Einwohner ca. 60 Euro, die jährlich für das Bibliothekswesen ausgegeben werden. Es gibt pro Einwohner 15,67 Medien und 9,79 Enlehnungen.
Das Bibliotheksgesetz gab lange Zeit vor, dass nur ausgebildete Bibliothekar:innen eingestellt werden dürfen. Das hat sich mit der letzten Gesetzesüberarbeitung verändert, da der dringende Bedarf an technischem und pädagogischen Personal, Jugendarbeiter:innen, Sozialarbeiter:innen erkannt wurde. So wurden in Helsinki in den letzten Jahren keine Bibliothekar:innen, sondern primär Personen mit soeben genannten Berufen eingestellt.
Viele kleinere Bibliotheken sind mittlerweile nur noch Stundenweise mit Bibliothekar:innen besetzt, außerhalb dieser Zeiten können sich die Kunden mittels gesichertem Eintritt (Biblioausweis) selber Zutritt verschaffen und Lesestoff ausleihen. So ist es möglich, auch in kleineren Dörfern und abgelegenen Regionen Bibliotheken zu erhalten.
Bibliotheksangebote
Öffnungszeiten
Die meisten Bibliotheken sind von 8 bis 20 oder sogar 21 Uhr geöffnet, auch am Wochenende (dann evtl. kürzer). Diese Öffnungszeiten ermöglichen es allen ein passendes Zeitfenster für einen ausgiebigen Besuch zu finden.
Medienangebot
Das Angebot der Bibliotheken umfasst nicht nur das „Standardprogramm“ Bücher, Zeitschriften, Zeitungen, DVDs, Spiele, Hörbücher und eMedien. Es finden sich in jeder Bibliothek PCs, Drucker und gratis WLAN, da in Finnland die Bücherservices online erledigt werden müssen, aber viele nicht über eigene PC/Drucker verfügen. Außerdem finden sich in allen größeren Bibliotheken DIY/maker spaces, mit 3D-Druckern, T-Shirt Printern, speziellen Bildschirmen zum Zeichnen, Nähmaschinen, Bohrmaschinen, Sportgeräte (zB Schneeschuhe, Hanteln, Balanceboards, etc.), Musikinstrumente, etc., die von den Kund:innen ausgeliehen werden können.
Fremd-/Mehrsprachige Medien
Fremdsprachige Bücher gehörten zum Standardprogramm der Bibliotheken. So finden sich in jeder Bibliothek auch Bücher in Schwedisch (zweite offizielle Sprache Finnlands), Englisch, Russisch, Estnisch, Italienisch, Spanisch, Deutsch, Arabisch, Farsi, Türkisch, Chinesisch, Somali. Die meisten Bibliotheken haben dann auch noch zahlreiche andere Sprachen verfügbar, für Erwachsene wie auch für Kinder, die dann auch bei der Multilingual Library bestellt werden und für einige Monate in der Bibliothek verbleiben können.
Opi Suoma – Learn Finnish
In jeder besuchten Bibliothek gibt es zwei Regale, die sehr präsent (und nicht im hintersten Winkel zu finden) sind: eines mit Finnischlehrbücher und eines mit Finnisch „easy reader“ – Originale aus dem Finnischen verkürzt, in großer Schrift und Einfacher Sprache.
Ausstattung
Neben dem Medienangebot gibt es in jeder Bibliothek ausreichend Platz zum Lesen und Lernen in der Bibliothek oder in separaten (oftmals auch buchbaren) Reading- oder Studyrooms. Die besuchten Bibliotheken sind durchwegs großzügig geplant, hell, lichtdurchflutet. Das Mobiliar umfasst gemütliche Lesestühle, Schreibtische mit Stromanschluss für Laptops. Die Kinderecken sind durchwegs kindgerecht gestaltet, mit niedrigen Regalen, Teppichen, Räumlichkeiten für Storytelling, Platz für Krabbelkinder, separaten Kinderwagenabstellplätzen und oft auch mit Tischen und (Hoch-)stühlen, Mikrowelle, wo die Kinder verköstigt werden können. WCs und Wickelmöglichkeiten sind überall reichlich vorhanden, wie auch zahlreiche Steckdosen und Handyladeboxen. In den größeren Bibliotheken findet man auch meist ein Café mit günstigem Angebot an Getränken und Snacks.
Die Bibliotheken in Tampere und Oodi haben auch voll ausgestattete, schalldichte Musikstudios, die von Musiker:innen für Aufnahmen gebucht werden können.
Ausstellungen
Wichtig ist den Bibliotheken auch der Platz für wechselnde Ausstellungen von lokalen Künstler:innen, um die Kunst zu den Menschen zu bringen. In Turku gibt es auch Vitrinen, die von „nicht-Künstlern“ gebucht werden können, um zB Sammlungen, Handarbeiten oder Handwerke zu präsentieren.
Veranstaltungen
Beim Veranstaltungsangebot ist es den Bibliotheken wichtig, dass Veranstaltungen stattfinden, sie aber wenig bis keine Arbeit und keinen Aufwand damit haben. So sind Freiwillige, Institutionen und Organisationen eingeladen und willkommen, die Bibliotheksräumlichkeiten zu nutzen und Angebote zu schaffen.
• Bibliothekseinführung für Vorschüler:innen (obligarisch, wird von Bibliothekar:innen gemacht)
• Storytelling, auch mehrsprachig
• Booktalks für Schüler:innen (Schüler:innen sprechen über Bücher und lernen gleichzeitig, wie man vor Publikum spricht)
• Studygroups
• Language Cafés, meist für Finnischlernende
• Newspaper reading and discussing (für Finnischlernende)
• Bookclubs für Erwachsene, auch fremdsprachig (zB Estnisch, der während Covid und dem Wechsel auf Zoom gewachsen sei, da nun auch Personen aus ganz Finnland teilnehmen können)
• Autorenlesungen
• Mehrsprachige Mitarbeiter:innen
In allen besuchten Bibliotheken wurde unisono zugegeben, mehr mehrsprachige Mitarbeiter:innen wären einerseits hilfreich, und würden andererseits auch eine bessere Verbindung zu den Communities darstellen, um noch mehr Leute erreichen zu können.
Bibliotheken in Helsinki
Oodi, Pasila und Espoo sind Teil von HELMET , dem Bibliotheksverbund der Bibliotheken im Großraum Helsinki, dem 37 Bibliotheken und 471 Angestellte angehören. Pasila ist die Hauptbibliothek, Hauptverteilstation und beherbergt die Multilingual Library, während Oodi, die größte und opulenteste der Bibliotheken, „nur“ eine Filiale und die Central Library Helsinkis ist.
Die Bibliotheken haben einen zentralen Einkauf und ein „floating system“. Das heißt, dass die einzelnen Bibliotheken keinen fixen Bestand haben, sondern der Bestand nach ausgeklügelten Algorithmen immer wieder neu in Umlauf gebracht und den verschiedenen Bibliotheken zugeteilt wird. Wird zB in Oodi ein Buch zum Thema Stricken ausgeliehen und in Espoo zurückgebracht, wird das Buch bei der Rückgabe gescannt und der Computer findet heraus, ob Espoo derzeit einen „Mangel“ an Strickbüchern hat und es dort verbleiben soll, oder ob es in die Zentrale kommt und einer Bibliothek zugewiesen wird, die derzeit am wenigsten Bücher zum Thema Stricken aufweist.
Stationen:
17. Juni: Meso Tampere City Library
20. Juni: Oodi Helsinki Central Library
21. Juni: Multilingual Library Pasila (und Hauptbibliothek Helsinkis)
22. Juni: Espoo City Library
23. Juni: Turku City Library
Weitere Infos zum Wettbewerb Erasmus+ und ESK: Meine Story